BERUFSSTÄNDISCHE ORDNUNG -
ENTWICKLUNG DER IDEE BEI JOHANNES MESSNER


I. ANFÄNGE DER IDEE DER BERUFSSTÄNDISCHEN ORDNUNG IM ÖSTERREICHISCHEN SOZIALKATHOLIZISMUS

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(Padre Alex)


1. Einleitende Kurzerklärung wichtiger Begriffe

1.1 Zur katholischen Soziallehre und ähnlichen Begriffen

1.2 Sozialreform und Sozialpolitik

1.3 Sozialkatholizismus

2. Allgemeine Vorgeschichte

3. Die österreichischen Hauptvertreter einer ständischen Ordnung

3.1. Karl von Vogelsang (1818 - 1890)

3.2. Franz Martin Schindler (1847 - 1922)


1. Einleitende Kurzerklärung wichtiger Begriffe

1.1 Zur katholischen Soziallehre und ähnlichen Begriffen

Das 19. Jahrhundert brachte mit der Herausforderung durch die soziale Frage in Verbindung mit der raschen Entwicklung der sozialen Verflechtung des menschlichen Lebens in den Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat einen wesentlichen Anstoß zur katholischen Soziallehre im engeren Sinne von heute. Ausdrücklich ist in der kirchlichen Sozialverkündigung seit Papst Pius XII. von ihr die Rede, der Sache nach seit Leo XIII. Die Soziallehre der Kirche stellt eine gewisse Systematik der durch das Lehramt der Kirche in Verbindung mit den Ergebnissen der Wissenschaft, insbesondere der katholischen Soziallehre und unter dem Antrieb (christlicher) Sozialbewegungen von der Kirche vorgelegten sozialen Lehren (Sozialverkündigung) dar. In unserem Zusammenhang hat auch die Soziallehre der Päpste eine wichtige Bedeutung, wobei ihre zeitweilig dominierende Stellung nicht das pluriforme Wesen gerade dieser Lehre und ihre Verbindung mit den Sozialbewegungen und den Sachbeiträgen auch der Laien zu ihr trifft.

Die sozialphilosophische Grundlegung der katholischen Soziallehre erfolgt traditionell naturrechtlich. Dazu kommen erhellende sozialtheologische Erkenntnisse. Die katholische Soziallehre bezeichnet also "zumeist die wissenschaftlich begründeten (Lehren!), systematisch dargelegten und im Leben der Kirche allgemein vertretenen Auffassungen zur Gestaltung der Gesellschaft (aus christlicher Verantwortung und aufgeklärtem Gewissen)." Durch die philosophisch-theologische Grundlegung gibt sie als normative, praxisbezogene Wissenschaft eine umfassende Sicht vom Sozialen und bietet allen Menschen guten Willens einen Sinnentwurf für eine gerechte Ordnung des menschlichen Zusammenlebens als Voraussetzung für richtiges konkretes Handeln.

Sozialethik wiederum "ist jener Teil der Ethik, der auf der Grundlage sozialphilosophischer Einsichten in das soziale Wesen des Menschen und das Sein der Gesellschaft, mit Hilfe der Ergebnisse der empirischen Sozialwissenschaften die Lehre von der sittlichen Ordnung in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik entwickelt".(1)

1.2 Sozialreform und Sozialpolitik

Für die christliche Sozialethik umfaßt Sozialreform alle Bestrebungen einzelner und sozialer Gruppen zur Heilung der sozialen Schäden durch eine Behebung ihrer tieferen Ursachen und durch eine Verbesserung der sozialen Ordnung von ihren Grundlagen her. Es geht also um die Begründung einer besseren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung.(2) Der erhellende Zusammenhang mit der Idee einer berufsständischen Ordnung wird in dieser Arbeit sichtbar werden. Der "Sozialreformer muß nicht minder wie der Arzt zuerst darauf bedacht sein, zu sehen, wo die Natur selbst Heilkräfte entwickelt, und diese dann vor allem fördern."(3) Die Sozialreform unterscheidet sich so wesentlich von einer Sozialrevolution. Sozialreform will zwar unmittelbar die Institutionen ändern, aber ihr Erfolg hängt wesentlich von einer gleichzeitig einhergehenden Gesinnungsreform ab.(4)

Die christliche Sozialreform als katholisch-soziale Aktion empfängt von der Kirche in doppelter Hinsicht Weisung und Kräfte: "Einmal insoferne das kirchliche Lehramt zur sozialen Frage und sozialen Reform Stellung zu nehmen hat ... dabei ist festzuhalten, daß die Kirche sich nicht nur darauf beschränkt, abstrakte Entscheidungen in Glaubens- und Sittenfragen zu fällen, sondern daß sie auf ganz konkrete Verhältnisse innerhalb der sozialen Ordnung abhebt, also 'institutionell' wirken will ... Zum anderen aber empfängt die christliche Sozialreform von der Kirche her insofern Kräfte, als sie in ihren Gliedern ... auf die Gesellschaft und ihre Neuordnung von innen her wirken will"(5). Aber es "ist nicht Sache der Hirten der Kirche, in die politischen Strukturen und die Organisation des Gesellschaftslebens direkt einzugreifen. Diese Aufgabe gehört zur Sendung der gläubigen Laien, die aus eigenem Ansporn mit ihren Mitbürgern zusammenarbeiten. Ihrem sozialen Einsatz steht eine Vielzahl konkreter Wege offen."(6)

Die Sozialpolitik wiederum richtet sich auf die Beseitigung von sozialen Übeln im Rahmen der bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Träger der Sozialpolitik ist nicht wie im Falle der Sozialreform die Gesamtgesellschaft, sondern der Staat, zu dessen Gemeinwohlaufgaben neben dem Rechtsschutz auch die Wohlfahrt aller Bürger und Schichten gehört. "Obwohl die Bereiche der Sozialreform und Sozialpolitik nicht verwischt werden dürfen, ergeben sich zwischen ihnen Berührungspunkte, weil sozialpolitische Maßnahmen auf die gesellschaftlichen Strukturen zurückwirken und umgekehrt eine Neuordnung der Institutionen zumeist auch eine Überprüfung der bisherigen Sozialpolitik verlangt."(7)

1.3 Sozialkatholizismus

Der Begriff "Katholizismus" soll die in der Welt wirksame Erscheinung des katholischen Glaubens in seiner Geschichtsmächtigkeit zum Ausdruck bringen, getragen von identifizierbaren sozialen Gruppen und Einzelpersonen, die nicht mit der verfaßten Kirche und ihren leitenden Amtsträgern identisch sein müssen. Seine Träger verstehen ihn auch als Erfüllung des kirchlichen Sendungsauftrages. "Sozialkatholizismus ist, sofern Sozialreform eine gesellschaftspolitische Zielsetzung darstellt, eine Art des 'politischen Katholizismus', der sich auf bestimmte Anliegen ... konzentriert."(8) Da der jeweilige Katholizismus sein Gepräge daher findet, daß seine Träger einer je spezifischen Gesellschaft (Kultur, Geisteslage, soziopolitischen Problematik) zugehören und zugleich eine christliche Antwort auf ihre Problemlage geben wollen, sind Gehalt und Gestalt des Katholizismus dem Wandel ausgesetzt und können in ihrer Sonderart nicht unkritisch für andere Kulturlagen und veränderte Konstellationen als verbindlich gelten.

2. Allgemeine Vorgeschichte

In Österreich ging die Industrialisierung langsamer und in geringerem Ausmaß vor sich als in Deutschland. Ein starker Einfluß des Staates auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Österreich blieb bis zur Revolution 1848 erhalten. Erst nach dem Zusammenbruch des neoabsolutistischen Systems (1851 - 1859) kam der Liberalismus in Staat und Wirtschaft zu vollem Durchbruch und mit ihm die Industrialisierung in großem Ausmaß nach den Grundsätzen des liberalen Kapitalismus. "Ihre Folge war das rasche Anwachsen des sozial völlig ungesicherten, religiös weitgehend entwurzelten Industrieproletariats in den Großstädten, vor allem in Wien."(9)

Diese Anfänge der Industrialisierung wurden von den österreichischen Katholiken nur mit geringer Anteilnahme zur Kenntnis genommen, auch weil sie bis zum Abschluß des Konkordats von 1855 ihre Kräfte für die Beseitigung des Josephinismus einsetzten. Obwohl Wien u. a. mit Clemens Maria Hofbauer ab 1808 für eine kurze Zeitspanne das Zentrum der katholisch-deutschen Romantik war, erhielten die sozialen und ständischen Ideen Adam Heinrich v. Müllers, Friedrich v. Schlegels und Franz v. Baaders erst durch Karl v. Vogelsang und dessen Mitarbeiter eine gewisse Wirksamkeit. Im allgemeinen blieb die Industriearbeiterschaft unbetreut, auch nachdem immerhin der spätere Wiener Kardinal Anton Gruscha 1852 einen Artikel "Zur sozialen Frage" veröffentlicht hatte. Die Lösung für die Not der Zeit sah Gruscha im Gesellenverein Adolf Kolpings, den dieser im selben Jahr auch in Wien gegründet hatte. Die vergangenheitsbezogene Zielgruppe waren die Gesellen des Handwerks, welches den Grundstein einer berufsständischen Neuordnung der Gesellschaft legen sollte. 1857 versuchte Bischof Hille von Leitmeritz, die Fabrikanten auf ihre Verantwortung und Pflicht hinzuweisen, mit der Arbeiterschaft eine "soziale Familie" zu bilden.

Erst nach dem Ende des offenen Kulturkampfes 1874 waren gewissermaßen Kräfte für die soziale Frage frei. Die katholische Sozialreform ging dann in Österreich von konservativen Aristokraten aus. Sie war von der Genfer Vereinigung Bischof Mermillods und dem von Franz J. v. Buß und Wilhelm Em. von Ketteler formierten deutschen Sozialkatholizismus wesentlich beeinflußt und stand auch in engem Kontakt mit der katholischen Sozialreform in Frankreich. 1875 erschien die Schrift Prinz Aloys Liechtensteins "Über Interessenvertretung im Staate", die im wesentlichen von den Ständen und Berufsgenossenschaften ausgehende Sozialgesetze forderte. Die zentrale Figur der konservativen Sozialreform in Österreich, die auch Johann Anton Graf Pergen (1839 - 1902) und Friedrich Karl Graf Revertera-Salandra (1827 - 1904) vertraten, war aber dann Karl v. Vogelsang. Neben ihm "schufen Pater Albert Maria Weiß (+ 1925), Karl Lueger (+ 1910), Pater Heinrich Abel (+ 1926), Aloys Prinz Liechtenstein (+ 1920) und Prälat Franz Martin Schindler (+ 1922) das christlichsoziale Österreich."(10)

Über die Wurzel der Idee der berufsständischen Ordnung im 19. Jahrhundert gehen aber die Meinungen auseinander, zumal die Idee selbst mannigfaltige Abtönungen aufwies. Der Zusammenhang der Idee in den katholischen Kreisen mit den praktischen Problemen der vom Industrialismus aufgeworfenen Fragen schließt es aus, daß man "nur einen Einfluß der Romantik, bes. Adam Müllers, am Werk sieht. Die romantische Intuition vom 'Lebendigen', von 'Gegensätzlichkeit' und 'Gliedhaftigkeit' als seinen Strukturgesetzen konnte, auf das gesellschaftliche Leben übertragen, zwar wertvolle Tiefsichten vermitteln, mußte aber unfruchtbar bleiben, wo immer man wirkliche Gestaltung im Politischen und Gesellschaftlichen wollte."(11)

3. Die österreichischen Hauptvertreter einer ständischen Ordnung

3.1 Karl von Vogelsang (1818 - 1890)

Der Mecklenburger Vogelsang konvertierte 1850 in Innsbruck und ließ sich 1875 endgültig in Wien nieder. Er gilt als einer der profiliertesten Verfechter eines massiv kapitalismuskritischen Sozialkatholizismus und Erwecker des sozialen Gedankens in Österreich.

Auch wenn die Grundgedanken seiner Sozialreform von der katholischen Romantik und besonders von den Lehren Adam H. Müllers geprägt waren, mit denen er, auch auf den Rat von Ketteler, in München in Berührung kam, so muß nüchtern festgehalten werden, daß für ihn als ehemaliges Mitglied der ritterschaftlichen Stände seines Geburtslandes "die Idee der Berufsständischen Ordnung einfachhin ein Bestandteil des auf ihn überkommenen Bildes einer wahren Gesellschaftsordnung"(12) war. Ziel Vogelsangs war es dann, den "Volkskörper wieder zu organisieren und zu gliedern"(13), weil der ständische Staat eine ständisch organisierte Wirtschaft voraussetze. Aus der Fülle seiner Gedanken interessiert uns vor allem die "Berufsgenossenschaft".

Vogelsang sah nämlich die Lösung der sozialen Frage vornehmlich in der Eingliederung der Menschen in ständische Gemeinschaften und im korporativen, berufsständischen Wiederaufbau der Gesellschaft. Er sah die "Versöhnung des Kapitals mit der Arbeit" in den "selbstverwalteten Korporationen"(14) als gegeben an und forderte das "Recht der Arbeitsgenossen, sich zu Korporationen zusammenzuschließen für die Zwecke des intellektuellen, moralischen und physischen Schutzes ihrer gemeinsamen Interessen."(15) Das Recht der Arbeitsgenossen, sich zu Korporationen, im Sinne der Berufs- oder Produktivgenossenschaften, zusammenzuschließen, bezeichnete er als Naturrecht.

"Der einzelne darf seine Privatinteressen nicht einseitig auf Kosten seiner Mitmenschen und speziell auch nicht auf Kosten seiner Berufsgenossen verfolgen, und das Mittel, ihn nach dieser Richtung hin im Zaume zu halten, ist die korporative Einigung der Berufsgenossen."(16) In der "Produktivgenossenschaft" sollten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Produktion von Gütern in einem Unternehmen zusammenschließen und würden so "Berufsgenossen". So würde "der Stand der Unternehmer allmählich auch in der Richtung sittlich ertüchtigen, daß er sein Verhältnis zu den Arbeitern als ein solches auffassen lernt, das ihm ernste sittliche Pflichten auferlegt. Es kann dann wieder das Bewußtsein des solidarischen Interesses zwischen Unternehmer und Arbeiter erwachen und dieser kann wieder eine Lebensstellung angewiesen erhalten, die die Sicherung eines bescheidenen Wohlstandes und ein Aufsteigen im Stande in sich birgt."(17) Vogelsang verfocht darüber hinaus die genossenschaftliche Vereinigung ganzer Industriezweige mit der Folge, daß die Versicherungseinrichtungen für die Arbeiter auf die industriellen Berufsgenossenschaften übergehen würden.(18)

"Gelingt die soziale Reform auf christlicher und historischer Grundlage, so wird die Wiederbelebung des Prinzips der differenzierten nationalen Arbeit, das Ständeprinzip, als ein Naturgesetz des Menschen, von neuem zur Geltung gelangen, wenn auch gewiß in einer ganz neuen, weder im mittelalterlichen Ständewesen, noch weniger im alten Kastenwesen vorgebildeten Gestaltung. Es ist eine wesentliche Vorbedingung der Freiheit und der Kultur, des Eigentums und des Erbrechts."(19) Beständig in der Gefahr, die Vergangenheit zu idealisieren, glaubte er, mittels seines "christlichen, objektiven und historischen Prinzips"(20) zur Erkenntnis jener sittlichen Gesetze gelangen zu können, welche Gott den Dingen eingegossen habe. Aufgrund dieser Betrachtungsweise hatte für Vogelsang doch einzig die ständische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung des Mittelalters wirklich dem Christentum entsprochen.(21)

Vogelsangs Lehre von der berufsgenossenschaftlichen Organisation der Gesellschaft wollte an Stelle der horizontalen Scheidung der Gesellschaft in Klassen die vertikale in Berufsstände setzen. So verbinde jeder Berufsstand Unternehmer und Arbeiter zu solidarischen Körpern ("Korporationen"), deren gemeinsame Interessen nach außen gemeinsam zum Ausdrucke gebracht, deren widerstreitende Interessen aber im Inneren der Korporation selbständig entschieden werden sollten. Auf diese Weise sollten Klassen und Klassenkampf vermieden werden.(22) Der Kern der sozialreformerischen Bestrebungen Vogelsangs läßt sich gut zusammenfassen: "Unsere ganze Zukunft hängt davon ab, wie rasch und wie weit es uns gelingt, unser Volk aus dem amorphen in den kristallinischen, aus dem atomisierten in den organischen Zustand wieder hinüberzuführen."(23)

Zwei seiner getreuesten Schüler trugen aufgrund ihrer internationalen Verbindungen und politischen Tätigkeit seine Gedanken in einige der wichtigsten sozialkatholischen Gruppierungen, u. a. in die "Union catholique d'Etudes sociales et économiques de Fribourg" (1884 - 1891)(24): Franz Graf v. Kuefstein, der rege Kontakte mit dem französischen "Oeuvre des Cercles" unterhielt, darber hinaus Mitglied des "Circolo Romano degli Studi sociali ed economici" sowie der "Freien Vereinigung katholischer Sozialpolitiker" war und schließlich ab 1884 als Gründungsmitglied innerhalb der genannten Freiburger Vereinigung eine wichtige Rolle spielte. Außerdem ist Gustav Graf v. Blome, der internationale Bedeutung als Mitglied der "Union de Genève" und später der Freiburger Union erreichte, als ein Wegbereiter echter Sozialpolitik in Österreich zu erwähnen.

3.2 Franz Martin Schindler (1847 - 1922)

Der in Motzdorf (Böhmen) geborene Schindler wurde 1869 zum Priester geweiht und nach Studien in Wien und Rom 1887 zum ordentlichen Professor für Moraltheologie an der Universität Wien berufen (bis 1918). In Wien kam Schindler bereits 1887 mit Vogelsang in näheren Kontakt, der sich in einem Arbeitskreis zur Vorbereitung des Zweiten Österreichischen Katholikentages (1889) noch vertiefte. Mit Vogelsang wurde Schindler auch in der "Freien Vereinigung katholischer Sozialpolitiker", die in den Jahren 1883 bis 1888 tagte, und in der Freiburger Union konfrontiert. Hier sind die Abende im Hotel "Ente" besonders zu erwähnen, welche auf Drängen Schindlers eine bleibende Plattform im Anschluß an die Gespräche zur Vorbereitung des Zweiten Österreichischen Katholikentages werden sollten. Die erste Zusammenkunft, zu der Schindler einlud und zu der neben anderen später führenden Persönlichkeiten der christlichsozialen Bewegung auch Vogelsang kam, fand am 29. Jänner 1889 in der "Ente" statt.(25)

Beim Zweiten Österreichischen Katholikentag 1889 legte Schindler in einem großangelegten Referat konkrete Pläne für den geplanten Gesellschaftsumbau im Sinne einer berufsständischen Ordnung vor, welche in einer Resolution gipfelten.(26) Seine sozialpolitischen Ideen faßte Schindler in seinem 1905 in erster Auflage erschienenen Buch "Die soziale Frage der Gegenwart, vom Standpunkte des Christentums beleuchtet" zusammen. Diese Schrift zeigte deutlich den Einfluß Vogelsangs und von "Rerum novarum" (= RN), stellte aber, in der Abhebung und Weiterentwicklung von Ideen Vogelsangs, eine eigenständige Arbeit dar.(27)

Die sog. "Volksstände" waren für Schindler die "Organisation des Volkes ... auf der Basis der genossenschaftlichen Zusammenfassung aller Angehörigen der gleichen Berufe."(28) Das wirtschaftliche Gemeinwohl war bei ihm eine Hauptbegründung für die Notwendigkeit einer Organisation des Volkes in Ständen. Die Organisation dieser Stände sollte unter Aufsicht und Beihilfe des Staates geschehen. "Die einzelnen Berufsgenossenschaften haben die Aufgabe, unter Aufsicht und Beihilfe des Staates mit tunlichster Autonomie die ihr ausschließlich eigenen wirtschaftlichen Angelegenheiten in wohlgeordneter Gliederung ... selbständig zu regeln; sie müssen deshalb mit allen hiezu erforderlichen Befugnissen gesetzlich ausgestattet sein. Die Ordnung der gemeinsamen Interessen mehrerer oder aller Erwerbs- und Berufsarten ist einem entsprechenden Organismus von Vertretungen der Genossenschaften der einzelnen Berufszweige und ihrer Verbände (für Bezirk, Land, Reich) unter Leitung der Staatsgewalt zu übertragen."(29)

Diesen geordneten Berufsgenossenschaften sei ein Einfluß auf die Gesetzgebung, besonders in wirtschaftlichen Fragen, einzuräumen. Das wirtschaftliche Gemeinwohl fordere eine Teilnahme der Volksstände an der staatlichen Verwaltung und Gesetzgebung. Die Mitwirkung der Volksstände an der "Sicherung des wirtschaftlichen Gemeinwohls" setze aber die Organisation unabdingbar voraus. "Die Organisierung der Volksstände, insbesondere zu ihrer erfolgreichen Beteiligung an der Förderung des wirtschaftlichen Gemeinwohles, hat ihre naturgemäße Grundlage im Volke selbst, in der Verschiedenheit der wirtschaftlichen Erwerbs- und Berufsarten, deren jede die in ihr beschäftigten Volksgenossen ebenso untereinander verbindet wie von den übrigen in anderen Arbeitsarten Tätigen sondert und scheidet."(30) Die Lösung der Angelegenheiten, welche das gemeinsame wirtschaftliche Wohl der Berufsgenossen betreffen würden, solle mit "möglichster Freiheit und Selbständigkeit" durch die Berufsgenossen selbst geschehen.(31)

Die Großindustrie müsse durch die berufsgenossenschaftliche Organisation aus dem Zustand ungeregelter Konkurrenz in einen Zustand geordneten Wettbewerbs hinübergeführt werden.(32) Richtungsweisend stellte Schindler auch fest: "Unternehmer und Arbeiter müssen unter Leitung und Mithilfe von Staat und Kirche zusammenwirken, um einen Zustand des sozialen Friedens herbeizuführen, der ebenso den wahren Interessen beider Teile wie dem Gesamtwohle der Völker entspricht."(33)

Im Gegensatz zu Vogelsang sah Schindler die Notwendigkeit der Einheit von Arbeit und Kapital nur in der Produktion, nicht aber im Ertrag oder Gewinn(34), weil der eine Teil "keine Verlustgefahr auf sich nehmen kann, weil er nur Arbeit einzusetzen vermag und für diese ... eine unter allen Umständen sichere Verwertung zu suchen angewiesen ist."(35) So stellte er den Gedanken der wirtschaftlichen Kooperation im Rahmen einer Organisation von Volksständen zum Zwecke geregelter Konkurrenz in den Vordergrund seiner sozialpolitischen Überlegungen. "Bei Schindler ist also deutlich eine Interpretation Vogelsangs von einem Ordnungsdenken her zu erkennen, die keinen prinzipiellen Antikapitalismus verlangt."(36)


ANMERKUNGEN

(1) Weiler R., Die soziale Botschaft der Kirche. Einführung in die katholische Soziallehre, Wien 1993 (= Schriftenreihe des Instituts für Sozialpolitik und Sozialreform [Dr. Karl Kummer-Institut], Neue Folge, 2), 10.

(2) Vgl. Meßner J., Um die katholisch-soziale Einheitslinie. Mit einem Geleitwort von Bischof Dr. Sigmund Waitz, Innsbruck - Wien - München 1930 (= "Neues Reich"-Bücherei Nr. 9), 44.

(3) Ders., Die berufständische Ordnung, Innsbruck - Wien - München 1936, 306, Anm. 21.

(4) Vgl. Rauscher A., <Sozialreform>, in: Klose A./Mantl W./Zsifkovits V. (Hrsg.), Katholisches Soziallexikon, Innsbruck - Wien - München 2/1980, 2790.

(5) Meßner (1930) 45 f.

(6) Katechismus der Katholischen Kirche, München 1993, Nr. 2442.

(7) Rauscher, <Sozialreform>, in: Kath. Soziallex. (2/1980) 2788.

(8) Schneider H., <Katholizismus>, in: a. a. O., 1324.

(9) Weinzierl E., <Geschichte der kath. Sozialbewegung in Österreich>, in: a. a. O., 2023 f.

(10) Pribyl H., Sozialpartnerschaft in Österreich. Mit einer Einführung von Alfred Klose, Wien 1991, 50.

(11) Gundlach G., <Berufsständische Ordnung>, in: Staatslexikon Recht Wirtschaft Gesellschaft. Herausgegeben von der Görres-Gesellschaft. 1. Bd., Freiburg 6/1957, 1124.

(12) A. a. O., 1125.

(13) Zit. nach Pribyl (1991) 50.

(14) Vogelsang K./Die sozialen Lehren des Freiherrn Karl von Vogelsang. Grundzüge einer katholischen Gesellschafts- und Volkswirtschaftslehre nach Vogelsangs Schriften dargestellt von Wiard v. Klopp, 2/1938, 10; zit. nach a. O., 50 (Anm. 64).

(15) Vogelsang (2/1938) 278; zit. nach a. O., 50 (Anm. 65).

(16) Klopp W., in: Vogelsang (2/1938) 278; zit. nach a. O., 51 (Anm. 68).

(17) Vogelsang (2/1938) 326 f.; zit. nach a. O., 51 (Anm. 70).

(18) Vgl. a. a. O., 327; nach a. O., 51 (Anm. 71).

(19) A. a. O., 188; zit. nach a. O., 51 (Anm. 72).

(20) Vgl. ders., Die ethischen Socialprinzipien des Offenbarungsglaubens und die Socialprinzipien des Naturalismus, in: Bader E. (Hrsg.), Karl v. Vogelsang. Die geistige Grundlegung der christlichen Sozialreform, Wien 1990, 251 - 254; zit. nach Schlagnitweit M. L., Eine "katholische" Sozialordnung? Die "Union de Fribourg" und die berufsständische Organisation der Gesellschaft, Rom 1991 (= Lizenzarbeit im Fach "Katholische Soziallehre und Sozialethik"), 21.

(21) Vgl. Schlagnitweit (1991) 21.

(22) Pribyl (1991) 51; (vgl. Klopp W., Leben und Wirken des Sozialpolitikers Karl Freiherrn von Vogelsang. Nach den Quellen gearbeitet, Wien 1930, 445 f.)

(23) Zit. nach Schlagnitweit (1991) 21.

(24) Vgl. vor allem a. a. O., 22 f.

(25) Vgl. Pribyl (1991) 52.

(26) "Der Zweite allgemeine Österreichische Katholikentag erblickt in der genossenschaftlichen Organisation der Berufsklassen ein wesentliches Mittel zur Heilung der sozialen Schäden der Gegenwart." Zit. nach a. O., 52 (Anm. 86); (vgl. Silberbauer G., Österreichs Katholiken und die Arbeiterfrage, Graz 1966, 118).

(27) Pribyl (1991) 52.

(28) Schindler F. M., Die soziale Frage der Gegenwart, vom Standpunkte des Christentums beleuchtet, Wien 2/1906, 54; zit. nach a. O., 52.

(29) Ebd.; zit. nach a. O., 53; dies erinnert bereits an Messner, für den Schindler dem Gedanken der korporativen Ordnung der QA "bis auf wörtliche Übereinstimmung im einzelnen" nahegekommen ist (Meßner J., Die soziale Frage der Gegenwart. Eine Einführung von Dr. Johannes Meßner/Privatdozent an der Universität Wien, Innsbruck - Wien - München 1934 [zweite und dritte, unveränderte Auflage], 452).

(30) A. a. O., 56; zit. nach a. O., 53.

(31) A. a. O., 57; zit. nach a. O., 53.

(32) A. a. O., 148; zit. nach a. O., 53.

(33) A. a. O., 153; zit. nach a. O., 53. Aufgrund des häufig verwendeten Begriffes "Interesse" sei schon hier auf Messner J., <Interesse>, in: Kath. Soziallex. (2/1980) 1190 - 1200, sowie auf Rauscher A., Das Interesse - Die Wiederentdeckung und Klärung eines grundlegenden Begriffs für die moderne Gesellschaft, und Weiler R., Interessenkalkül und moralisches Prinzip (noch unveröffentlichte Referate des Symposiums "Interesse und Moral, Legitimation des Interesses und Interessenausgleich", Feb. 1993), verwiesen.

(34) Pribyl (1991) 53; (vgl. Schindler [2/1906] 129 - 134 und 155 - 169).

(35) Schindler (2/1906) 168; zit. nach a. O., 54.

(36) Weiler, in: Schambeck/Weiler (Hrsg.; 1992) 125 f.


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