Was wird jetzt? Neuschreibe oder nicht?
(9. August 2000)

Eberhard Wagner

Hier befinden Sie sich in der Gastsektion von Eberhard Wagner, bekannter Romanautor und Denker in Österreich. Sein Roman "Helena - das Gute ist, was bleibt", kann besonders zum Kauf empfohlen werden: ISBN 3-85165-360-2 im Passagenverlag Wien 2000.


Eberhard Wagner (Schrifsteller - Denker):
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Ein herzlicher Dank ergeht an ihn für den folgenden Beitrag zur zusätzlichen Veröffentlichung auf www.padre.at:



Wenn diese ganze Diskussion um die Rechtschreib-Reform ein Gutes hatte dann dies, daß ich mich seither noch weniger um Duden oder Mackensen kümmere, sondern mich stattdessen noch mehr um das Auszudrückende bemühe, dem ich jene Schriftform gebe, die mir jenem gemäß erscheint. Daran wird sich auch jetzt nichts mehr ändern, wenn nun diese (meines Erachtens ohnehin) unsinnige weil von Unberufenen dekretierte Reform möglicherweise wieder rückgängig gemacht wird. Sie hat ohnehin alle nur verwirrt und abgelenkt von dem, was Schriftsprache überhaupt ist - nämlich eben kein Nominalismus, kein Gesellschaftspakt.

Aufgehorcht aber habe ich in Zusammenhang mit der Meldung, die FAZ sei zur alten Schreibe zurückgekehrt, als einzelne Medien davon berichteten, daß ein genereller Widerruf auch seine guten Seiten hätte: Nun erlebten Schüler Demokratie hautnah, wenn sie sich an die Bücher setzten und eigenhändig korrigierten, was ihnen da vorgesetzt worden war. So erführen sie hautnah, schrieb man, daß nicht alles, was von oben käme auch selbstverständlich sinnvoll sei.

Aha. Und brächten sich hinkünftig auch die Mathematik selber bei? Rechneten, wie sie selbst es beurteilen könnten? Nähmen Fakten aus Geographie, Geschichte, Biologie grundsätzlich nicht zur Kenntnis sondern sortierten selbst, was daran für bare Münze zu nehmen sei und was nicht? Wird mit solchen Aussagen nicht etwas ganz Erbärmliches vorgeführt: Nämlich die Unfähigkeit der Führungen, das, was sie tun, auch zu verantworten? Indem sie einerseits dem "Unteren" wohl nicht zugestehen, sich gegen ihre Beschlüsse und Gesetze aufzulehnen, ihn aber anderseits lehren wollen, daß er nicht alles ernstzunehmen habe, was von oben komme? Mit Verlaub: Reden wir hier nicht von ... Kindern?

Wie stellt man sich denn vor, daß überhaupt gelernt wird? Wenn ich das, was ich aufzunehmen habe, grundsätzlich bereits als Edukand in Frage stelle, wie soll ich dann überhaupt etwas aufnehmen? Denn Lernen heißt immer noch identificatio, der Mensch hat sich nicht geändert! Wenn der Schüler verunsichert wird, ob denn das was ihm der Lehrer vorträgt überhaupt stichhaltig sei - was erwartet man sich hinkünftig? Folgt jetzt noch weitergehendere Abschaffung der Benotung, weil es ohnehin bald keine Kriterien mehr gibt, nach denen man überhaupt Schule führt und Leistung (worauf bezogen?) beurteilt? Was bleibt an der Schule noch an zu Lehrendem? Links(oder von mir aus: Rechts)-moralisierende Verhaltenspädagogik? Schafft sie sich nicht damit selbst ab? (Und ich wäre gar nicht der letzte, der dies nicht befürwortete ...!) Wer bestimmt hinkünftig noch die Autoritäten - denn lernen heißt, Größeres aufzunehmen, weiter zu werden, heißt auch Wagnis - Autoritätslosigkeit heißt: Stillstand!? Oder läßt man den Schülern, Kindern freie Wahl, was sie annehmen sollen oder nicht und von wem? Oder gibt es (endlich) weise politische Maßnahmen, die ganz real (und nicht im Gequatsche) die Autorität der Elternschaft wieder stärkten, der Staat endlich!!! Seine Finger wieder aus den Familien nähme?

Der Schaden liegt gewaltig tief, das ist die Wahrheit. Jetzt diese Reform rückgängig zu machen führt zu einem weiteren folgenschweren Bruch im Vertrauen Schüler - Lehrer, Mensch - Institution, Person - Autorität. Hier liegen die wahren Wurzeln von Identitätsproblemen, ja sogar Immunschwächen, hier liegt der Persönlichkeitsabbau in nuce: In der Zertrümmerung des Außen. Der Wahn, diese Reform überhaupt einzuführen, war wohl lediglich symptomatisch für die Art und Weise, mit der sich Inkompetenz umso mehr an Veränderungen zu schaffen macht, als sie sie selbst ist. Eine Rückgängigmachung als solche aber kann nicht stattfinden - da müssen sich die Lehrenden etwas anderes einfallen lassen. Still sterben lassen unter Hinführung auf den wahren Zusammenhang Schrift - Sprache - Sein, so könnte ein Konzept lauten, das freilich keine technizistische Unterrichtsführung mehr erlaubte, wie sie heute flächendeckend anzutreffen ist. In jedem Fall aber muß man einen Rücktritt der Verantwortlichen fordern - wer weiß, was morgen alles zu widerrufen ist.


Padre Alex (Gastgeber):
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